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Kirchliche Hochschule Wuppertal verleiht Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Jürgen Moltmann

Am 1. November 2022 verlieh die Kirchliche Hochschule (KiHo) Wuppertal die Ehrendoktorwürde an den Theologen Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Moltmann. Der Festakt fand von 15.00 bis 18.00 Uhr auf dem KiHo-Campus statt. Dem Festakt wohnten rund 150 Gäste bei. Sie nutzten die Chance, den renommierten Theologen bei einem seiner selten gewordenen Auftritte live und persönlich zu erleben.

Die Verleihung der Ehrendoktorwürde erfolgte am 87. Jahrestag der Gründung der KiHo Wuppertal. Die Hochschule nahm auf Initiative von Mitgliedern der Bekennenden Kirche am 1. November 1935 den Lehrbetrieb auf, wurde aber schon kurze Zeit später von den Nationalsozialisten verboten. Am 1. November 1945 wurde die KiHo wiedereröffnet. Eine widerständige Theologie in Tradition der Bekennenden Kirche zu betreiben, zählt heute daher ebenso zum Profil der KiHo wie die Innovation theologischer Forschung und Lehre sowie die theologische Nachwuchsgewinnung für Kirche und Diakonie.

15.00 Uhr in der Lobby des Tagungshauses: Empfang
ab 15.45 Uhr im Audimax

  • Begrüßung: Ephorus Dr. Alexander B. Ernst (Prorektor)
  • Grußworte: Dr. Wibke Janssen (Oberkirchnenrätin der Evangelischen Kirche im Rheinland) / stud. theol. Lukas Jaedicke (Konventspräsident)
  • Laudatio: Prof. Dr. Markus Mühling (Rektor)
  • Verleihung des Titels Dr.Theol h.c.
  • Respons: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Moltmann, gelesen durch Anne-Ruth Moltmann-Willisch
  • Geistlicher Abschluss: Ephorus Dr. Alexander B. Ernst

Moltmann, am 8. April 1926 in Hamburg geboren, gilt als einer der renommiertesten Theologen der Gegenwart. Das Studium der evangelischen Theologie begann er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Ab 1952 arbeitete er als Pastor und Studierendenpfarrer, bis er 1957 den Ruf auf eine Professur für Systematische Theologie an der KiHo Wuppertal erhielt. 1963 wechselte er an die Universität Bonn. Von 1967 bis zu seiner Emeritierung 1994 lehrte und forschte er an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. 

Jenseits theologischer Fachkreise wurde Moltmann vor allem durch seine Bücher und die Kirchentage bekannt. 1964 erschien mit „Theologie der Hoffnung“ das Werk, das ihm internationale Anerkennung verschaffte. Anschließend folgten Publikationen wie „Der gekreuzigte Gott“ (1972), „Trinität und Reich Gottes (1980) und „Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre“ (1985).

Moltmann begreift seine Theologie immer auch als politisch verantwortlich. Seine Grundeinstellung lautete: Wer hoffe, könne nicht schlafen. Hoffnung mache aktiv und wach.

„Moltmanns Theologie zeigt transformative, zukunftsgestaltende Kraft genauso wie geistliche Tiefe“, beurteilt Prof. Dr. Markus Mühling, Rektor der KiHo Wuppertal, Moltmanns Theologie. „Sie bietet daher viel, um die Herausforderungen der Überlebensprobleme unseres Planeten sowohl zu verstehen als auch in ihrem Licht handeln zu können.“

Sehr geehrter, lieber Herr Moltmann,

Ich freue mich außerordentlich, dass Sie heute mit einem Teil Ihrer großen Familie bei uns sein können – hier in Wuppertal, das als Ort nur wenige Jahre ihres langen Lebenswegs ausmacht, hier, wo Sie Ihre erste Professur innehatten. Wir überreichen Ihnen die Ehrendoktorwürde der Kirchlichen Hochschule. Es ist keine einzelne Leistung, die wir ehren wollen. Es ist auch nicht, wie es sonst so üblich heißt, Ihr „Gesamtwerk“ das wir ehren, als könnte man alles Wichtige zwischen einer Reihe vieler Buchdeckel einfangen.

Gesamtwerke werden weggestellt und mögen schön, manchmal vielleicht auch bedrohlich, auf jeden Fall beeindruckend, anzusehen sein. Aber als Gesamtwerke sind sie nicht wichtig. Lebendig und wichtig werden sie im Lesen, nämlich dann, wenn das Lesen zu einem Gespräch wird, zu einem Gespräch nicht nur zwischen Autor und Leser, sondern wenn viele mit einbezogen werden, wenn die Geschichten der Leser, die Geschichten der Autoren miteinander so eng verschränkt werden, dass sie uns erahnen lassen, dass wir dabei gemeinsam wandern und den weiten Raum des dreieinigen Gottes entdecken.

Auf diesem Weg befinden Sie sich, und auf diesem Weg befinden wir uns alle. Er wird von verschiedenen Perspektiven aus wahrgenommen. Der Weg kann nicht, wie bei der Bahn, mit einem Fahrplan wiedergegeben werden – aber das wäre auch langweilig. Es ist der Weg einer Geschichte, die aus vielen Geschichten besteht, aus Geschichten, die ihre Einheit eben finden in dem gemeinsamen Grund, aus dem sie entstehen.

Ich kann diese Geschichte heute nur kurz, nur aus meiner Perspektive, nur persönlich und äußerst unvollkommen erzählen, auch nur, indem ich nicht das Eigentliche, das Werden der Geschichte vorführe, sondern mich nur auf wenige Episoden beziehe.

Erstens. Hier in Wuppertal, vor über einem halben Jahrhundert, haben Sie, lieber Herr Moltmann, ganz im Geiste der „Widerständigen Theologie“ Wuppertals und diese doch erneuernd und umgestaltend, begonnen über die Theologie der Hoffnung nachzudenken und uns die christliche Eschatologie neu verstehen zu lehren. Als ich Schüler auf dem Gymnasium war, und zuerst Ihre Theologie der Hoffnung kennen lernte, war das für mich eine Befreiung. Viele meiner Freunde und Familienmitglieder hielten die Hoffnung des christlichen Glaubens und andere Utopien für eine Weltflucht. Sie hielten den christlichen Glauben für gefährlich, weil er unser Hoffen und Sehnen auf einen anderen fernen, jenseitigen Raum verschiebe. Sie meinten im Ernst, man werde ruhig und resignativ, arrangiere sich mit den herrschenden Verhältnissen und handele nicht mehr in der Gestaltung unserer Welt. Sie, lieber Herr Moltmann, haben gezeigt, dass das Christentum sich zwar in der Tat häufig so selbst verstanden haben mag, dass es aber, wenn es das getan haben mag, eigentlich sich selbst nicht verstanden hat.

Christen leben aufgrund einer Hoffnung, die eben nicht aus den Prognosen der Welt stammen; sie leben aufgrund einer Hoffnung, die nicht auf der Logik der Extrapolation der gegebenen Umstände besteht. Sie leben aus einer Hoffnung, die aus der Auferstehung Christi als des Sohnes des Vaters durch den Geist stammt – und daher sind sie motiviert und begeistert, sich weder mit den herrschenden Verhältnissen, noch mit dem, was uns naturalistische, soziale oder wirtschaftliche Prognosen anbieten können, zufrieden zu geben. Sie leben nicht aus dem Futur, sondern aus dem Advent. Zahlreiche Befreiungstheologien aus aller Welt haben diesen Gedanken sofort im Kern erfasst: Gutierrez, Boff und Cone hätten ohne das Gespräch mit Ihrer Theologie der Hoffnung wohl anders gehandelt und gedacht.

Wir leben heute in einer Welt, in der die Überlebensprobleme unseres Planeten unübersehbar geworden sind. Wir leben in einer Welt, in der die alten, monolithischen und politischen Machtansprüche wiedergekehrt sind, und viele haben das Gefühl, von einer Krise in die nächste zu schlittern. Viele reagieren nun resignativ, suhlen sich in dystopischen Untergangsphantasien, oder hängen einem – nun nicht mehr mit Nietzsche als fröhlich zu bezeichnendem – Nihilismus an, sondern einem ganz und gar zynischen und morbiden Nihilismus. Brauchen wir angesichts dessen nicht gerade mehr von dieser Hoffnung des Advents? Ist gerade die Theologie der Hoffnung nicht heute aktueller denn je?

Zweitens. Von welchem Advent reden wir hier? Es ist natürlich der Advent Gottes. Aber ein Gott, der im Kommen ist, kann offensichtlich nicht ein monolithisches Etwas sein, das transzendent in einem Jenseits verharrt. Ein adventlicher Gott ist ein geschichtlicher Gott. Die Geschichte des Evangeliums erzählt nicht etwas „über“ Gott, sie ist die Geschichte Gottes selbst. Und das heißt, dass die Geschichte Jesu nicht dem Werden Gottes äußerlich ist. In „Der gekreuzigte Gott“ haben Sie eindrücklich gezeigt, dass Christen nicht einfach an einen theistischen Gott glauben – d.h. an ein unkörperliches Individuum, das alles tun kann, was es will, sondern dass Gott, wenn er im Kommen ist, leidensfähig ist; dass das alte Apathieaxiom vollständig aufgegeben werden muss.

In „Gott in der Schöpfung“ haben Sie gezeigt, dass das auch für unser Verständnis der Natur, der Welt, in der wir leben, Konsequenzen mit sich bringt. Die Natur ist nichts, was dem Menschen gegenüberstehen würde, wir sind selbst Natur. Aber die Natur ist glücklicherweise auch nichts, was Gott einfach gegenüberstünde. Nein, natürlich ist die Natur nicht Gott und Gott nicht die Natur, wie man pantheistisch denken könnte, sondern sie haben gezeigt, dass das Verständnis des Verhältnisses zwischen Welt und Gott als perichoretisch zu denken ist; so dass die Schöpfung auf einer Selbstbeschränkung, auf einem in sich selbst zurückgehenden Gott beruht. Geschöpfliche Freiheit und unser Leben im weiten Raum der Trinität sind so ermöglicht. Die Konsequenz ist: Wir sind – und damit ist nicht nur das Belebte, sondern auch das Unbelebte gemeint – einander Mitgeschöpfe, die in Solidarität leben.

Wie oft ist gerade von protestantischer Seite belächelt worden, Gott in der Natur sehen zu wollen. Wie oft ist gerade von protestantischer Seite betont worden, Gott sei reine Geistigkeit und hätte nichts Leibhaftes, Körperliches. Ich selbst bin in den 1980er Jahren, zur Hochzeit der ökologischen Bewegung großgeworden. Und als Sie 1985 ihre Schöpfungstheologie veröffentlichten, war ich 15 Jahre alt. Wenn ich im Rückblick daran denke, wie wir in der Zivilgesellschaft nach 1990 den ökologischen Aufbruch besänftigt haben, ihn eingegliedert haben in das business as usual und unsere Gesellschaft neoliberal umgestaltet haben, dann kann man nicht einfach nur traurig sein, oder zornig oder wütend, wenn wir heute eindeutig eine planetare Belastungsgrenze nach der anderen überschreiten. Nein, man wird sich schämen müssen, wir werden uns schämen müssen. Denn wir haben es nicht nur die ganze Zeit gewusst und zu wenig getan, nein, wir hatten auch die theologischen Mittel, es zu begreifen und wahrwertzunehmen, wie z.B. ihre ökologische Schöpfungslehre zeigt.

Drittens. Wenn wir in Gott leben, wenn Gott adventlich und pathisch ist, dann ist die Gegenwart Gottes nichts, was uns völlig fremd sein kann. Und doch haben wir im Westen Gott den Heiligen Geist gerne vergessen oder gar versucht, ihn einzuhegen und zu marginalisieren. Die orthodoxe Theologie hat uns das zu Recht schon immer vorgeworfen. Haben wir nicht versucht, ihn exklusiv auf ein „verbum internum“ zu beschränken und ihn zu subjektivieren? Haben wir nicht versucht, alles Leibliche draußen zu halten? Seit den 1990er Jahren ist die Pfingstbewegung auch in Deutschland angekommen, durch alle Konfessionsgrenzen hindurch. Sie hat auch nicht-pfingstliche Theologen zu einem neuen Nachdenken über den Heiligen Geist angeregt. Heute, nach dreißig Jahren, kann man kaum noch von einer Geistvergessenheit sprechen. Die pneumatologischen Arbeiten der letzten 30 Jahre sind Legion. Auch würde man den Geist kaum noch auf das Subjektive beschränken. Biblisch haben wir auch den Geist in der Schöpfung wiederentdeckt, und versuchen, das mit unseren leibhaften Erfahrungen in Einklang zu bringen. Sie waren in Deutschland einer der allerersten, der 1991 mit „Der Geist des Lebens“ eine ganzheitliche Pneumatologie vorgestellt hat. Viel hat sich seitdem getan. Aber auch hier scheinen wir nicht alle Lektionen gelernt zu haben. Noch immer haben wir das filioque im Glaubensbekenntnis, wie es karolingische Theologien eingefügt haben. Wir haben zwar auch den Geist in der Schöpfung gesucht, degradieren ihn aber allzu oft zu einer Kraft und Dynamis, ohne die Personalität des Geistes als Schlüssel zur dreieinigen Personalität Gottes zu verstehen, wie Sie es schon damals gezeigt hatten.

Ich komme nun am Ende nicht zu einer weiteren Episode, sondern zum weiten Raum der ganzen Geschichte, zum weiten Raum des dreieinigen Gottes, in dem wir leben und werden, seien wir nun Tier, Mensch oder Gestein. Explizit von „Trinität und Reich Gottes“ an, aber eigentlich auch schon davor, und danach in allen Ihren Schriften, haben Sie uns neu zu verstehen gegeben und gezeigt, dass Theologie es, wie der Name ja sagt, mit Gott zu tun hat. Sie haben gezeigt, dass dieses „G-O-T-T“ eben nicht nur eine Folie ist, auf der Menschen all ihre heiligen und unheiligen Wünsche projizieren könnten. Sie haben gezeigt, dass es die Geschichte Gottes selbst ist, in der Gott selbst ist, kommt, oder wird, wie ich selbst gerne sage. Und das ist zuallererst eine Geschichte der Differenz. Eine Geschichte, die von Alterität lebt. Vater, Sohn und Geist sind keine Erscheinungsweisen, keine Modi oder Masken eines numerischen, atomistischen Monolithen. Sie sind lebendige Personen in Liebe und Gemeinschaft.

Sie haben gezeigt, dass man das ächad des schema jisrael nicht technokratisch als numerische Einheit missverstehen darf. Nur wenn man das nicht macht, sondern hier die Einheit der Liebe, die zugleich höchste Differenz und höchste Einheit ist, erkennt, erkennen wir den Raum, in dem wir leben, auch richtig. Personen, gleich ob göttliche, engelische, menschliche oder vielleicht auch tierische, sind keine Individuen, die sich sekundär zu Gemeinschaften assoziieren. Sie sind auch nicht Kollektive, aus denen dann sekundär Individuen hervortreten. Die Geschichte des 20. und leider auch des 21. Jahrhunderts – wie sich jetzt wieder zeigt – ist durch und durch von der falschen Alternative von Kollektivismus und Individualismus gezeichnet. Wie Vater, Sohn und Geist aber einander gleichursprünglich sind, so sind auch Einheit und Vielheit, Gemeinschaft und Differenz in Gott gleichursprünglich. Daher eröffnet Gott uns seinen perichoretischen Lebensraum.

Daher sind auch wir als Personen immer Personen in Gemeinschaft. Und wie in Gott, ist auch diese Liebesgemeinschaft immer Liebe zu Gleichem und Liebe zu Anderem. Viele haben, wenn Sie, lieber Herr Moltmann, Ihre Theologie in Ihren Überlegungen zur Dreieinigekeit zusammengefasst haben, das m.E. missverstanden. Sie hatten ja immer von einer sozialen Trinitätslehre gesprochen. Was kann man hier missverstehen? Ein Kollege hat es mir gegenüber einmal lapidar so ausgedrückt: „Die Vergangenheit hat das menschliche Individuum, gar den menschlichen Monarchen und König übersteigert und zu Gott erklärt. Moltmann hat recht, dass das falsch war. Aber was macht er anders, als nun menschliche Sozialität, unser demokratisches Idealbild, divinatorisch zu übersteigern?“

Das zu hören, macht traurig. Denn hier ist nicht verstanden, worum es geht: Nicht menschliche Idealvorstellungen sind Metaphern für Gott. Wenn man es so sieht, kommt man aus der falschen Alternative von Individualismus und Kollektivismus nicht heraus. Das dreieinige Leben von besonderen Personen in Beziehung ermöglicht gleichursprünglich höchste Einheit als Gemeinschaft und höchste Differenz. In der Schöpfung kennen wir das nur sehr unvollkommen, und missverstehen es immer wieder. Aber weil wir eben im weiten Raum des dreieinigen Gottes leben, ist das nichts Jenseitiges. Es entspricht auch unserem Sein, gesellschaftlich und personal. Nicht, weil wir es empirisch beobachten könnten, sondern weil es genau aufgrund der Hoffnung auf denjenigen adventlichen Gott erkennbar ist, der uns erkennen lässt, als was wir selbst werden: als Personen in perichoretischer Gemeinschaft der Liebe, in der die Liebe zu Gleichem durch die Liebe zu Anderem gleichursprünglich besteht und nicht in Konkurrenz tritt. Damit haben Sie gezeigt, lieber Herr Moltmann, dass wir im weiten Raum des dreieinigen Gotts leben – vollständig unabhängig davon, ob wir das theologisch konzeptionell erkannt haben oder nicht. Sie haben gezeigt, dass es bei der Trinität nicht um eine Lehre geht, sondern um den lebendigen Gott selbst. Sie haben gezeigt, dass die Trinität eine eminent praktische Sache ist, die praktischste Sache, die es überhaupt geben kann.

Wenn wir 1. uns in dystopischen Zeiten nach einer Hoffnung sehnen, die das weltlich Prognostizierbare übersteigt und die uns neue Handlungsmöglichkeiten schenkt und uns zum Handeln motiviert.

Wenn wir 2. erkennen, dass wir in Solidarität mit allem Geschaffenen werden, leben und handeln.

Wenn wir 3. den Versuchungen der neoliberalen Verzweckung allen Werdens widerstehen, die alles nur zielorientiert betrachten und dadurch vergewaltigen will.

Kurz und zusammenfassend gesagt:

Wenn wir Widerständige Theologie betreiben, dann betreiben wir immer schon trinitarische Theologie, eben weil wir im weiten Raum der gemeinschaftlichen Liebe von Vater, Sohn und Heiligem Geist leben und werden.

Und aus dieser simplen Feststellung, können wir dann auch einander zurufen; mit Worten nicht eines Theologen, sondern eines Musikers, Bob Marleys, die Sie selbst am Ende Ihres Geistbuches zitieren:

“Let’s get together an be alright

One love, one heart

Give thanks and praise to the Lord

And be alright.”

Lieber Herr Moltmann, wir erteilen Ihnen heute die „Ehrendoktorwürde“ der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Brauchen Sie diese? Sicher nicht. Schließlich haben Sie davon schon mehr als genug. Aber selbst wenn sie noch gar keinen Ehrendoktortitel hätten, benötigten Sie ihn nicht wirklich.  Denn genau darum geht es ja: Um nichts, was man braucht, sondern um etwas, was einfach so dazu kommt! Aber dieses Dazukommende, das Salz in der Suppe, wobei geht es dabei? Ist das wirklich Ehre? Wen oder was ehren wir? Wir ehren keine Bücher, keine Mitgeschöpfe, wir ehren aber auch nicht unsere gemeinsamen Wege des Lebens, seien es nun die Wege des Gesprächs über den Umweg des Lesens, oder seien es die direkten Gespräche von Angesicht zu Angesicht. „Soli deo gloria!“, heißt es nach einer alten reformatorischen Einsicht. Und daran ist nicht zu rütteln. Es geht hier und heute überhaupt nicht um Ehre – auch wenn Generationen von Schülerinnen und Schülern Sie als theologischen Lehrer verehren.

Wir bedanken uns vielmehr bei Ihnen; wir bedanken uns für alle Anregungen, die Sie uns, als Theologen, als politischen Menschen, als liebende und geliebte Personen, kurz als Mitgeschöpfe, gegeben haben. Eigentlich müssten wir sofort die Promotionsordnung korrigieren: die Ehrendoktorwürde müsste eigentlich Dankesdoktorwürde heißen.

Lieber Herr Moltmann: Vielen Dank von Herzen!

Sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Anwesende,

ich habe zu danken der Kirchlichen Hochschule Wuppertal – gleich zwei Mal: erstens für die Berufung vor mehr als 6o Jahren, die mir hier herrliche akademische Freiheit geschenkt hat, und zweitens für die Würde eines Ehrendoktors, durch die ich erneut zu einem Glied dieser Hochschule gemacht werde.

Erstens

Ich war fünf Jahre lang Dorfpfarrer und Studentenpfarrer in Bremen gewesen und hatte von Vorlesungen und Seminaren keine Ahnung. Ich hatte mich nach dem Willen meines Doktorvaters Otto Weber 1957 in Göttingen für “Theologiegeschichte” habilitiert. Die Berufung nach Wuppertal kam ganz überraschend. Meine Bauern meinten: “Ja Herr Pastor, wenn Sie sich verbessern können …”.

Ich bin meiner Frau Elisabeth dankbar, dass ich mutig in meiner ersten Vorlesung “Die Geschichte des Reich Gottes” genommen habe, statt über “Zwingli” traditionell zu reden. Das “Reich Gottes” ist mein Thema bis heute geblieben. Wir wohnten am Robert-Koch-Platz mit zwei Kindern – und als wir Wuppertal  verließen, hatten wir vier Kinder.

Die Kirchliche Hochschule war eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden, wobei die Lehrenden, wie in meinem Fall, auch die Lernenden waren. Solche Gemeinschaft habe ich in keiner Universität gefunden. Die Dozenten hielten Morgenandachten und Gottesdienste, und die Studierenden kamen in unsere Häuser.

1959 und 1960 wurde ich für ein Jahr zum Rektor der Hochschule gewählt. Die Studenten holten mich mit einem Bollerwagen und Lampions ab.

1961 bekam ich eine Berufung nach Wien. Elisabeth und ich sind hingefahren, aber es gefiel uns in Wuppertal besser als in Wien. Also sagten wir ab und blieben noch drei Jahre an dieser Hochschule.

Die Gemeinschaft auf der Kirchlichen Hochschule ging so weit, dass wir Dozenten einmal Fußball spielten gegen die Studenten. Wir haben gewonnen, nach meiner Erinnerung. Aber das ist nicht wichtig. Georg Eichholz hat eindrucksvolle Bilder von uns gemacht.

Theologie im Auftrag der Kirche! Erst als ich 1964 in Bonn den Beamteneid beschwören musste, wurde mir bewusst, was das heißt. Zwanzig Jahre waren vergangen seit der Nazidiktatur in Deutschland, als die theologischen Fakultäten an den Universitäten “gleichgeschaltet” waren.

Ich habe auch an den staatlichen Fakultäten meine Aufgabe als “Theologie im Auftrag der Kirche” begriffen.

“Theologie im Auftrag des Reich Gottes” führt über die Grenzen der Kirche hinaus. Ich habe mir viele Gedanken über “Politische Theologie” und “Öffentliche Theologie” gemacht.

Zweitens

Mit Dank und Demut antworte ich auf diese „feierliche Verleihung der Ehrendoktorwürde der Kirchlichen Hochschule Wuppertal“.

Ich danke Ihnen, Magnifizenz, Rektor der Kirchlichen Hochschule, Professor Dr. Mühling herzlich für Ihre Laudatio. Sie haben mich in ein theologisches Gespräch gezogen. Das ist eine Überraschung für mich, das ist mir noch nie begegnet.

Ich habe in der Tat kaum theologische Lehrbücher geschrieben, dafür habe ich mich in das theologische Gespräch eingemischt, das seit Adam und Eva im Paradies bis in die Gegenwart geführt wird: über Gott und mit Gott bis Gott kommt. Theologie im Gespräch, das ist meine Stärke. Dass meine Gesprächseinfälle dem einseitig erscheinen, der den Kontext des Gespräches vergisst, werde ich hinnehmen müssen. Jedenfalls danke ich dem Kollegen Mühling, dass er meine Theologie durchschaut hat.

Ich danke Dr. Wibke Janssen, Oberkirchenrätin der Evangelischen Kirche im Rheinland, für Ihr Grußwort. Damals war Joachim Beckmann Präses der rheinischen Kirche und lehrte zugleich an dieser Hochschule. Damals war der Oberkirchenrat Johannes Schlingensiepen der Herr des theologischen Examens in Düsseldorf, und er kannte alle Kandidaten.

Lieber Student Lukas Jaedicke, Konventspräsident. Ich würde ja sehr gerne mit den Studenten Fußball spielen wie vor 6o Jahren, aber ich kann nicht mehr — leider! Ich danke Ihnen für Ihr Grußwort im Namen der Studierendenschaft.

Die Ehrendoktorwürde der Kirchlichen Hochschule Wuppertal hat eine besondere Bedeutung für mich, macht sie mich doch zu einem Glied der Hochschule. Ich war immer ein wenig stolz, dass meine Hochschule von der Bekennenden Kirche gegründet wurde, während die theologischen Fakultäten an den deutschen Universitäten “gleichgeschaltet” waren. Am Fuße des “heiligen Berges“ liegt die reformierte Gemeinde Barmen Gemarke, in der die Barmer Theologische Erklärung 1934 beschlossen wurde. Ich bin 1954 auf die Barmer Theologische Erklärung ordiniert worden. Das war eine Tradition der „widerständigen Theologie”, in die ich mich gerne einreihte. Ich habe es bedauert, dass die Schwesterhochschule Berlin sang- und klanglos in die theologische Fakultät der Humboldt Universität aufgegangen ist. Dabei war diese Fakultät zu DDR-Zeiten vom STASI unterwandert und „gleichgeschaltet”.

Ich war weltweit unterwegs gewesen, aber meistens hielt ich meine Vorträge an Seminaren “Run by the Church”, in USA und von Nicaragua bis nach Taiwan und Korea. Kirchliche Hochschulen sind die normalen Ausbildungsstätten für Theologinnen und Theologen, hoffentlich für eine “widerständige Theologie”! Das gilt auch für die Zukunft der Theologie in Deutschland.

Macht diese Kirchliche Hochschule in Wuppertal stark! Ich habe eingangs von der “herrlichen akademischen Freiheit”, die mir die Kirchliche Hochschule geboten hat, gesprochen. Das war meiner

Berufung für “Theologiegeschichte” geschuldet. Ich konnte machen, was ich wollte. Für die Systematische Theologie war Professor Niesel zuständig. In Tübingen musste ich die ganze Systematische Theologie vertreten.

In diesen sechs Jahren kamen auch meine ersten literarischen Versuche heraus. 1959 gab ich die “Calvinstudien” heraus, 1961 folgte als Frucht meiner Studien der frühen reformierten Theologie „Prädestination und Perseveranz”. “Perseveranz” ist ein Wort für den Widerstand gegen Bedrohung und gegen Verführung. Die Studierenden und Assistenten haben mich bei der Suche nach den frühen Zeugnissen der “Dialektischen Theologie” unterstützt, die ich 1963 in Ernst Wolfs “Theologischer Bücherei” in zwei Bänden herausgab.

Und dann kam zum Abschluss die “Theologie der Hoffnung” 1964. Ich hatte Vorlesungen darüber in Wuppertal und Bonn gehalten. Das war die einzige Vorlesung, in der am Ende mehr Hörer als am Anfang da waren.

Ich habe viel zu danken, gleich 2 Mal, für die Berufung vor 6o Jahren und heute für die Verleihung der Ehrendoktorwürde.

Es lebe die Kirchliche Hochschule in Wuppertal!